Care & Corona
a4825Schreibaufruf #2
Wir – Verein Sorgenetz und das Kardinal König Haus – haben mit Beginn der Corona Pandemie den Schreibaufruf „Care und Corona“ initiiert. Die eingegangenen Geschichten sind unter Schreibaufruf #1 gesammelt nachlesbar.
Die Pandemie ist jedoch nicht vorbei, Erkenntnisse sind gewachsen – und vor allem: Gegenwärtig ist spürbar, dass die sogenannte „zweite Welle“ anders wird. Wir wollen mit der „zweiten Schreib-Welle“
- den Fokus auf den Bereich Hospiz, Palliative Care, Demenz setzen
- stärker ethische Grundfragen und Spannungsfelder fokussieren.
An dieser Stelle sammeln wir in den nächsten Wochen und Monaten wieder alle eingereichten Beiträge, die uns über careundcorona@kardinal-koenig-haus.at erreichen.
Wir freuen uns jetzt schon über Ihre Beteiligung!
Nadja Sattmann, Pädagogin und Programmassistentin, Kardinal König Haus
Klaus Wegleitner, Assoc. Prof. Universität Graz, Obmann Verein Sorgenetz
Patrick Schuchter, stv. Leiter Hospiz, Palliative Care, Demenz, Kardinal König Haus, wiss. Mitarbeiter Universität Graz
Alle Infos zur Aktion:
Eindrücke in Zeiten der Pandemie...
Unser Pflegealltag in einem Pflegeheim ist seit nahezu einem Jahr von den besonderen Herausforderungen der Corona Pandemie geprägt. Nachdem wir uns von Woche zu Woche „Coronafrei „ durchgekämpft haben, hat uns der Virus trotz aller Bemühungen doch noch eingeholt. Vier Tage vor Impfbeginn. Erstmals seit Beginn der Pandemie bin ich wirklich „geknickt“. Der hohe Einsatz wird scheinbar nicht belohnt.
Die Schwere der Erkrankung raubt unseren Bewohnern jegliche Energie und zwingt sie buchstäblich „in die Knie“. Unser Bemühen, sie trotz der unglaublichen Arbeitsintensität bestmöglich zu versorgen, verlangt dem Team ALLES ab. In voller Schutzausrüstung, erkennen uns die BewohnerInnen oft nur noch an unserer Stimme. Ihre Dankbarkeit und ihr Mitgefühl für unsere Arbeitsbedingungen machen demütig. Wir tun was wir können und es ist irgendwie immer zu wenig. Man muss glücklicherweise nur einen Tag nach dem Anderen bewältigen und das ist schon schwer genug. Meine Ausbildungen und Erfahrungen im PalliativCare sind mir wertvolle Hilfe. Im Herbst haben wir zu meiner großen Freude mit dem HPCPH Projekt gestartet.... es bleibt so vieles auf der Strecke...
Zu Beginn der Pandemie war die größte Sorge und Angst der BewohnerInnen bei Erkrankung nicht im Haus bleiben zu können. Galt ja anfangs die Devise, jeder der positiv auf Covid getestet wird, muss ins Krankenhaus. Mich persönlich hat das schwer belastet und ich wiedersetze mich erstmals eine Anweisung, wenn auch vorerst nur in der Theorie. Wie denn nun - die "Nichtwiligen" überreden? Zwangseinweisung? Davon ist nun schon lagen keine Rede mehr. Dass die Betroffenen ihrem Wunsch entsprechend und je nach Betreuungssituation im Haus bleiben können, ist ein Trost.
Das Leid hat viele verschiedene Facetten. Die Angehörigen haben es besonders schwer, ersetzen können wir sie nicht. Besuchseinschränkung und Verbot dauern schon so/zu lange. Sie müssen uns vertrauen und wir können sie nicht so begleiten wie gewohnt. Übers Telefon zu trösten fühlt sich schrecklich dürftig an. Hilflosigkeit, Kummer aber auch Wut und Unverständnis gilt es auszuhalten. Das Angebot sich über die Psychologin unseres Hauses und an die Seelsorge (natürlich auch per Telefon, Videochat…) Hilfe zu holen, wird nur spärlich angenommen.
Zeit des Abschiedes… die Angehörigen müssen sich in voller Schutzausrüstung von ihren sterbenden Lieben verabschieden. Diese Bilder verfolgen mich. Kaum etwas in meiner Berufslaufbahn hat mich mehr berührt. Die Angst und der Schmerz in den Augen hinter den Schutzbrillen sind förmlich greifbar. Professionale Distanz hin oder her - man möchte sie wie die Bewohner einfach nur in die Arme nehmen und halten und kann es nicht… Das Sterben fühlt sich trotz „Vorerkrankung und Hochaltrigkeit“ anders an als sonst.
Es gibt sie noch, die Freude, die gute Laune und das Lachen. Diesen Winter wird gestrickt wie schon lange nicht mehr. Wir werden mit Schals und Mützen ausgestattet. Beim MenschÄrgereDichNicht wird gefightet wie sonst auch. Und wir freuen uns über den vielen Schnee. Die Kinder aus den Nachbarwohnhäusern bauen vor unserem Haus Schneemänner im Garten und wir lachend mit ihnen bei einer Schneeballschlacht. Geburtstage werden gefeiert und wir singen schräg und falsch die dazugehörigen Ständchen. Wir bekommen ein "Teambaby" und freuen uns mit den Eltern... Die Kostbarkeit des Augenblicks ist in diesen Tagen besonders wertvoll.
Nach Dienstende heißt es Gedanken sortieren. Es bleibt die Sorge etwas übersehen zu haben, die Sorge um die Kollegen. Was macht diese unglaubliche Belastung (physisch und psychisch) mit ihnen um deren Rückhalt und Zusammenhalt ich so dankbar bin. Nicht alle haben so ein Glück mit einer PDL die so souverän durch die Krise führt und haben einen Krisenstab im Hintergrund. Die Krise zeigt schonungslos auf die Stärken und Schwächen einer Organisation. Wie lange werden unsere Ressourcen noch reichen und funktionieren unsere Strategien zur Psychohygiene? Wir werden es erst in einigen Wochen wissen. Ich vermisse meine Kinder mit ihren Familien die ich zu ihrem Schutz nur selten sehe, meine Freunde die mir lieb und teuer sind und alle außerhalb Kärntens wohnen… Wie hat mein vierjähriger Enkel vor kurzem festgestellt: „So geht das nicht weiter“… wie recht er doch hat.
"Die Hoffnung ist das Federding, das in der Seel sich birgt und Weisen ohne Worte singt und niemals müde wird…" schreibt Emily Dickinson.
Die Hoffnung bleibt, dass alles irgendeinmal sein Ende hat, auf mehr Nähe statt Distanz, auf mehr Gemeinsamkeit statt Einsamkeit und im übertragenen Sinn auf den Frühling nach einem langen Winter.
Roswitha Urabel
Vertraute oder Fremde...
Oder, mein Pflegealltag im Pflegeheim, mitten in der Corona Pandemie, die auch uns nicht verschont hat. Mein Blick durch die Brille. Die Corona Schutzbrille. Rosa ist schon lang nicht mehr. Ich sehe verzweifelte Gesichter mit angsterfüllten Augen, die versuchen eine menschenähnliche Gestalt zu erkennen. Eine Gestalt, mit gelbem Schutzmantel vom Hals abwärts, nur wenige Zentimeter über dem Boden ist dieses Gelb zu Ende.
Dort, an der Stelle, an welcher sich ein Gesicht vermuten lässt – sind lediglich Augen hinter einer viel zu großen Brille erkennbar, diese Gestalt hat weder Mund noch Nase – dafür schmiegt sich ein weißes Stück Stoff an die Konturen eines Gesichtes.
Meine Sprache erreicht mein Gegenüber nicht mehr, um in Kontakt zu kommen.
Die ffp2 Maske wirkt wie ein Schalldämpfer.
Was bleibt ist mein Blick durch die Brille, in ein fragendes Gesicht.
Ein Lächeln erkenne man auch an den Augen, so sagt man.
Obwohl mir nicht zu Lachen zu Mute ist – versuche ich es, sooft als möglich und immer dann, wenn ich einem meiner Bewohner gegenüber trete.
Menschen mit einer dementiellen Veränderung sind dazu (oft) nicht mehr in der Lage, ein Lächeln von den Augen abzulesen. Unser wichtigstes "Kommunikationsmittel", verborgen hinter Brille und Mundschutz.
Und während ich diese Zeilen schreibe, erinnere ich mich an Frau A., eine Meisterin in der Beobachtung von den unterschiedlichen "Haarprachten" meiner Kolleginnen. (*lächeln)
Sie weiß unsere Namen nicht immer, aber sie hat sich eine echt "haarige" Strategie zugelegt.
Die Schwester mit dem roten Zopf oder die Schwester mit der der schwarzen "Igelfrisur".
Und jetzt ist auch diese Strategie dem Virus C. zum Opfer gefallen.
Wir Pflegende verdecken nicht nur mehr unser Lächeln hinter einer Maske, sondern auch noch eines unserer Erkennungszeichen unter einer grünen Haube.
Teilweise sind wir zu völlig fremden Menschen geworden.
Unsere Stimme als Anker. So würde ich es bezeichnen. Wenn dieser Kommunikationsweg noch uneingeschränkt möglich ist. So erkennt mich, nach einer etwas länger andauernden „Begutachtung“ der großen, gelben Gestalt – zumindest Frau A. an meiner Stimme. Für diejenigen, deren Gehörsinn bereits Einbußen zu beklagen hat, wird selbst dieser Anker nicht mehr greifbar.
Berührung wird nicht selten ängstlich abgewehrt - schließlich sehen wir nicht mehr aus wie die vertraute Schwester oder der vertrauensvolle Pfleger.
Was da abverlangt wird ist unmenschlich, für Alle.
Wieviel Leid erträgt der "alte Mensch", wieviel Trauer um all die Verluste der "Pflege-Normalität" kann ein Team er-tragen?
Was hält uns, damit wir halten können.
Ist es die Hoffnung, dass alles was wir tun einen Sinn hat, egal wie es ausgeht?
Meine Kolleg*innen sind gefordert, sie vollbringen täglich eine schier unbewältigbare Meisterleistung.
Sie sind Fremde und doch Vertraute.
Sie sind Anker und Wegbegleiter.
Sie ersetzen nicht die liebenden Angehörigen und doch berühren sie täglich die Herzen der Bewohner*innen auf magische Weise.
Mit (m)einen Blick durch die "rosarote" Brille, ein hoffnungsvoller Blick in die Zukunft, da sehe ich wieder lachende Gesichter und strahlende Augen.
Feierlichkeiten mit musizierenden Angehörigen und tanzenden Bewohner*innen.
Gemeinsamkeit statt isolierter Einsamkeit.
Diese Zeit wird kommen - halten wir zusammen, halten wir durch.
Für uns und für die Menschen, die uns vertrauen.
Barbara Pagitz
Die Risikogruppe fährt jetzt Schi!
…Gedanken zu Care und Corona… von einer Allgemein- und Palliativmedizinerin in Teilzeit-Arbeit, Mutter eines 9 jährigen Volksschülers und einer 6 jährigen Vorschülerin, Ehefrau eines Vollzeit im Homeoffice arbeitenden Mannes, Tochter einer an Demenz erkrankten Mutter und eines im Lockdown nach 24 hBetreuerin suchenden Vaters, der am Rande des Care giver Burn outs taumelt.
Impressionen aus den letzten Monaten meines Care und Lock down-Alltags:
… in meiner Arbeit als Ärztin läuft alles weiter wie bisher und doch nichts so wie sonst: wir sind bis auf Anschlag unterbesetzt (5 statt 9 Allgemeinmedizinerinnen), PatientInnen sollen voll versorgt werden aber doch möglichst wenig zu uns kommen, Maske und Schutzkleidung ist inzwischen Alltag und eigentlich fast das geringste Problem. Zwei Kollegen inzwischen an Corona erkrankt – wo sie sich angesteckt haben, bleibt natürlich unklar…
… bei meiner Ankündigung des zweiten Schul-Lockdowns an den 9-jährigen, brüllt mich dieser an: „Und was ist mit meiner Bildung?“.
Nach einer Nacht voller Diskussionen und Überlegungen die Entscheidung: Ein Elternteil mit Vollzeit- Homeoffice und eine Ärztin im unterbesetzten Corona-Ambulanzmodus vertragen sich nicht mit 2 Kindern im Homeoffice. Ab sofort gehen beide Kinder wieder in Volksschule bzw. Vorschule. Die Schule ist schließlich geschlossen offen.
…Die Lehrerin organisiert mit bewundernswertem Engagement wieder einmal kurzfristig alles um … bietet nun Unterricht für die Kinder, die anwesend sind und für die, die zu Hause sind… quasi hybrider Unterricht für Volksschulkinder. Ich nehme an, die Überstunden werden vergütet? Nachtstunden ordnungsgemäß verrechnet? Eine Prämie am Jahresende für alle PädagogInnen, die - against all odds - versuchen unseren Kindern ein wenig Stabilität und … Achtung Fremdwort! ... Bildung zu geben?
…dazwischen schießt ein Wahnsinniger 5 Gehminuten von unserer Wohnung entfernt auf offener Straße mit einem Sturmgewehr auf Menschen, die im Café sitzen oder gerade vorbei spazieren. Die Mutter einer Schulkollegin entkommt knapp dem Kugelhagel. Routiniert bleiben die Kinder an diesem Tag zu Hause. Essen ist eingebunkert, keiner muss raus. Doch! Ich muss zum Dienst - am nächsten Morgen schleiche ich zwischen Militärpolizei zur Arbeit. FFP2 auf - weiter im Corona-Ambulanz-Alltag, bleierne Schwere am Gang. Am Abend erkläre ich meinen Kindern vorm Schlafengehen, warum Menschen so etwas tun. Ich versuche es halt. Ich verstehe es ja auch nicht.
…“Sch..!“ schreit mein Mann aus dem Arbeitszimmer – „der Dreck hängt schon wieder“. Online-Konferenz, die 110. „Das Internet laggt“… sagt der 9 jährige. Alltag im Corona-Lockdown.
… dazwischen immer wieder verzweifelte Telefonanrufe meines Vaters, der meine zunehmend demente und pflegebedürftige Mutter fernab meines eigenen Wohnortes betreut. Er kann nicht mehr. Er geht psychisch ein. Die 24 h Betreuerin ist in Panik abgereist, weil sie Angst hat, dass die Grenzen zur Slowakei dicht machen und auch nicht mehr aufgehen. Ersatz gibt es auf die Schnelle nicht….
… die Risikogruppe soll geschützt werden, heißt es offiziell. Meine Schwiegereltern sehen keinen Grund auf Urlaube zu verzichten oder gar auf Familienessen. Wie lange kann man Einladungen zum Sonntagsbraten ausschlagen, bis die Familienharmonie darunter dauerhaft leidet? Zu Weihnachten gebe ich klein bei, das Familienfest findet statt wie geplant...
… meine 17 jährige Nichte ist nun inzwischen seit mehreren Monaten zu Hause im Homeschooling Modus. Dank gutbürgerlicher Ressourcen weicht sie untertags inzwischen in die leerstehende Zweitwohnung der Großeltern aus und lernt dort, um dem Lagerkoller zu entgehen. Nachmittags bekommt sie dort von ihrer besten Freundin Besuch. In die Schule dürfen die beiden nicht. Aber nach Weihnachten, da melden sich die beiden Mädels zu einer Kur in Oberösterreich an. Kurhotels sind offen. Kann man einfach buchen – Schwimmbad, Wellness, Massage, Fango Packung – alles verfügbar. Die zwei Mädels verbringen ein paar unbeschwerte Tage. Nach den Ferien geht´s wieder weiter ins Homeschooling. Schule ist zu gefährlich – wenn schon nicht für die SchülerInnen, dann zumindest für die Gesellschaft!
… meine demente Mutter sieht nicht mehr ein, warum ich sie nicht besuchen komme: „Was soll denn mir noch passieren?“ fragt sie mich am Telefon – der Vorwurf in der Stimme ist nicht zu überhören…. Wird sie es nächstes Jahr noch mitbekommen, wenn ich mich dann endlich traue, sie zu besuchen? Laut Verordnung darf ich sie ja besuchen, sogar mit meinen Kindern gemeinsam (glaube ich) – aber mein Mann muss definitiv im Auto sitzen bleiben, darf nicht ins Haus hinein. „Ihr spinnt´s ja alle“, meint mein Vater.
…meine 6 jährige Tochter berichtet aus der Vorschulgruppe: Die pädagogische Leiterin ist schwanger – endlich eine erfreuliche Nachricht! Für die Kinder bedeutet das in Corona-Zeiten sofortige Abwesenheit der Bezugsperson, die plötzliche Abwesenheit und neuen Bedingungen werden vom Rest des Personals liebevoll aufgearbeitet. Umgang mit Chaos und Unerwartetem ist bereits Alltag. Meine Kleine nimmt das jedoch scheinbar ungerührt hin. Plötzliche Abbrüche, Absagen, Unvollendetes, nicht erfüllte Versprechen – bereits Alltag im Leben unserer Kinder.
Enttäuschungen meines 9 jährigen Sohnes in den letzten 6 Monaten: Geburtstagsparty abgesagt, Schullandwoche bis auf weiteres verschoben, kein Schulabschlussfest, der Großteil seiner Schulfreunde unerreichbar zu Hause, Hornunterricht bei jeder Schulschließung online - anfangs sogar nur dank Eigenengagement des Hornlehrers; das ersehnte Musikförderwochenende von der Stadt Wien abgesagt, Weihnachtsurlaub verschoben (oder abgesagt?); Großeltern besuchen verboten…
…. Während ich mir das alles durch den Kopf gehen lasse, putze ich wieder einmal meine Wohnung. Ist schließlich mein freier Tag heute, die Reinigungsfachkraft schon seit längerem wieder im Lock down Modus. Was an Freizeit bleibt wird also wieder einmal in Saugen, Putzen, Kochen, Einkaufen, Waschen, Bügeln… investiert. Ab dem 2. Lockdown kommt – Gott sei Dank! – zumindest unsere Babysitterin 2x 3 Stunden die Woche. Alle anderen familiären Unterstützungssysteme sind zusammengebrochen: Großeltern dürfen nicht kommen, schnell mal zu den Freunden am Nachmittag – schwer zu organisieren… wir schupfen es eben zu zweit. Wie lange kann man Eltern auswringen, bevor sie eingehen?
… „eine neue Studie zeigt nun zweifelsfrei, dass Schulschließungen eine effektive Methode zur Viruseindämmung sind“, teilt mir die junge, kinderlose Kollegin in der gemeinsamen Pause mit (ist übrigens nicht mehr erlaubt, Kaffeepause zu zweit in der Arbeit – Infektionsrisiko ist zu hoch! Also bleibt die FFP2 Maske jedenfalls auf.). Ein bisschen triumphierend klingt es in ihrer Stimme, sie hat es schon immer gesagt. Die Kinder – diese Virenschleudern! Ab mit ihnen nach Hause…
… mein Vater ruft wieder an. Meine demente Mutter hat ihn zum Wahnsinn getrieben mit ihrem Wunsch, Schi zu fahren. Sie kann ihre Schuhe nicht mehr selber anziehen. Sie weiß nicht immer, dass der Löffel dazu dient, die Suppe zu essen. Aber sie weiß, es ist Winter – und da fährt man Schi! Mein Vater berichtet stolz, dass er jetzt einen Tag mit ihr Schifahren war im Familienschigebiet um die Ecke. Foto per Whats App inklusive. Etwas verloren sieht sie aus, meine demente Mutter, wie sie da auf der Piste steht… Die Risikogruppe fährt jetzt Schi!
Meine Erfahrung als Osteopathin in der zweiten Welle
Gut sind wir über den Sommer gekommen, haben wieder ein bißchen vom Leben kosten können, aber spätestens im September wurde klar, so kann es nicht weitergehen, wir werden wieder achtsamer sein müssen im Umgang miteinander, achtsamer im „Nicht- begegnen“.
In der ersten Welle hatte ich große Sorgen, wie ich als Osteopathin überhaupt sinnvoll arbeiten kann, wie damit umgehen, dass Berührung „gefährlich“ ist. Ich habe mich mit der Situation gut arrangiert, ich konnte sogar ohne Handschuhe
arbeiten. Im Sommer, als wir immer mit offenem Fenster arbeiten konnten, habe ich für das Anamnesegespräch sogar den Mund Nasenschutz durch ein Schutzschild ersetzt, damit mich die neuen PatientInnen zumindest einmal real
sehen können. Das war entspannend, hat einen guten Rhythmus in die Behandlungssituation gebracht, eine Art Normalität.
Nun gilt es wieder, unter verschäften Sicherheitsmaßnahmen zu arbeiten. Seit September arbeite ich wieder mit ffp2 Maske. Davor hat mir gegraut, weil ich mich noch an den Sauerstoffmangel im Frühjahr erinnere, an die dunklen Ringe
unter meinen Augen, an das Nach Luft schnappen in den Behandlungspausen.
Jetzt ist es wieder soweit.
Ich verberge mein Gesicht hinter dem weißen Ungetüm, auch neue Patientinnen bekommen mich nur so zu Gesicht, mein ganzes Gesicht können sie nur auf der Hompage sehen und auch das ist nicht ganz real, ist doch das Foto schon recht alt…
Ich ärgere mich über PatientInnen, die die Maskenpflicht sehr locker nehmen, eine schlabberige Maske tragen, die bis zum Mund hinunterrutscht und verstimmt reagieren, wenn ich sie bitte, einen korrekten Mund Nasenschutz zu tragen oder schnupfende PatientInnen, die erstaunt reagieren, wenn ich sie darauf aufmerksam mache, dass sie in so einer Situation lieber nicht zur Behandlung kommen sollten. Ich frage mich, ob ihnen bewußt ist, dass die Schutzmaßnahmen zum Schutz der anderen gedacht sind? Ist ihnen bewußt, dass sie mich in eine schwierige Situation bringen, wenn sie die
Schutzmaßnahmen „locker“ nehmen?
Wenn ich am Kopfbereich meiner Patientinnen arbeite, lege ich Gummihandschuhe an und trage noch zusätzlich zur ffp2 Maske ein Schutzschild. Darunter ist es dann wirklich schwer, Luft zu bekommen. Ich bin froh, wenn ich das wieder ablegen kann und denke an Intensivpflegerinnen, die das viele Stunden lang aushalten müssen. Ich achte wieder besonders genau auf die Hygienemaßnahmen, meine Hände sind wund vom ständigen Waschen und Desinfizieren. Daheim trage ich dann stündlich Handcreme auf die gereizte Haut der Hände auf, ich betrachte meine Hände, sie wirken gealtert, spröde, sind da jetzt mehr Altersflecken? Ich gehe oft Laufen, da atme ich tief durch, manchmal dauert es lange, bis sich meine Lungen daran gewöhnen, sich ganz zu entfalten und nicht nur oberflächlich Luft ein und ausströmen zu lassen.
Ich merke, wie unrund ich bin, wenn ich abends lange arbeite und nach der Arbeit direkt nach Hause in den lockdown gehe. Es fehlt mir Frischluft, es fehlt mir Weite, es fehlt mir der Ausgleich für das Eingeengt sein in der Maske, es
fehlen mir die unbeschwerten sozialen Kontakte. Ich schlafe unruhig und hab auch in der Nacht ständig das Gefühl, nicht genug Luft zu bekommen. Jetzt im November merke ich erstmals, dass zunehmend Patientinnen absagen,
weil sie Kontaktpersonen waren, in Quarantäne sind oder momentan lieber nicht mit den Öffis fahren wollen. Ich verstehe das sehr gut und etwas längere Pausen zwischen den Therapien tun mir eh gut. Erstaunlicherweise sind es aber nicht die älteren PatientInnen, die absagen. Bei ihnen habe ich eher das Gefühl, das sie heilfroh sind, kommen zu können.
Und ich bemerke trotz allem, wie froh ich bin, arbeiten zu können im Unterschied zum ersten Lockdown. Es tut so gut, mit Menschen körperlich in Kontakt sein zu können, ich bin sehr froh über meinen Beruf. Jetzt, wo ich als therapeutisch tätiger Mensch seit 8 Monaten in dieser veränderten Situation arbeite, ist mir noch deutlicher bewusst, wie wichtig es
ist, auf mich zu achten. Es ist anstrengend, so zu arbeiten und es braucht genügend Zeit und Raum zum Auftanken.
Es ist mir auch bewußt geworden, wie wichtig es ist, achtsam miteinander umzugehen und dass auch ich als Therapeutin Achtsamkeit von meinen Patientinnen erwarten darf. Wenn ich spüre, dass auch sie auf mich„aufpassen“, indem sie die Schutzmaßnahmen einhalten, können wir in der Behandlung trotz der schwierigen Rahmenbedingungen in einen guten Kontakt kommen.
In meiner Erfahrung sind es nicht so sehr meine älteren PatienInnen, die unter der Situation leiden. Am meisten sind es junge Menschen in schwierigen Lebenssituationen, die durch die momentane Situation an ihre Grenzen der
Resilienz geraten. Eine alleinerziehende junge Witwe, die in der sozialen Isolation an die Grenzen des Machbaren gerät, wenn ihr 5 jähriger Sohn wegen einer Erkältung vom Kindergarten nach Hause geschickt wird. Ihr biete ich jetzt online Sitzungen an, um sie mit angeleiteten Übungen in ihrer körperlichen Selbstregulation zu unterstützen.
Ich erlebe auch, dass Menschen, die aufgrund von schweren Erkrankungen schon Extremsituationen erlebt haben, mit der momentanen Situation relativ gut zurechtkommen. Eine Patientin, die eine Krebserkrankung hinter sich hat, meinte, sie habe es schon einmal erlebt, dass von einem Tag auf den anderen das Leben völlig verändert ist, sie könne damit jetzt gut umgehen. Besonders schwer ist es für Menschen, die Angehörige von Palliativpatienten sind. Ich betreue einen Mann, der seine sterbende Frau begleitet und selbst unter starken körperlichen Stress-Symptomen leidet. Er traut sich momentan natürlich nicht mehr zu mir zu kommen, um seine Frau nicht noch zusätzlich zu gefährden, obwohl er eine osteopathische Behandlung dringend brauchen würde...
Regina Novy